Jubiläum am Rotstein
Vortrag zum 100-jährigen Bestehen des Naturschutzgebietes „Rotstein“
Naturschutz
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Entwicklung und Tendenzen am Beispiel des Naturschutzgebietes Rotstein
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Zinke, sehr geehrte Freunde des Rotsteins, sehr geehrte Damen und Herren.
Ich freue mich, dass sie mich zu dieser Veranstaltung zum 100jährigen Bestehen des Naturschutzgebietes am Rotstein bei Sohland eingeladen haben. Ich möchte mit Ihnen Rückschau halten, wie das Naturschutzgebiet entstanden ist, wie es sich in dieser wechselvollen Zeit entwickelt hat und wo wir heute stehen. Auch einen Ausblick auf die kommenden Aufgaben des Naturschutzes möchte ich geben.
Das Naturschutzgebiet Rotstein ist heute eine Perle in der Kette von 212 Naturschutzgebieten Sachsens. Mit einer Größe von heute reichlich 81 Hektar ist das Gebiet jedoch eher klein. Der Sächsische Durchschnitt liegt dank der großen Naturschutzgebiete wie Königsbrücker Heide, Niederspree und der Schutzzonen des Biosphärenreservates bei 245 Hektar. Als eines der ersten Naturschutzgebiete hat es heute jedoch einen ganz besonderen Wert, weil sich in ihm nicht nur 100 Jahre Entwicklung eines Naturschutzgebietes ablesen lassen, sondern weil sich auch der vielfältige Wandel unserer Landschaft und unseres Verhältnisses zur Natur verfolgen lassen.
Als die Königliche Amtshauptmannschaft Löbau am 26. März 1912 bekannt gab, dass in allen Wald bestandenen Teilen des Rotstein das Abpflücken und Ausgraben von Pflanzen und Pflanzenteilen sowie das Verlassen der Touristenwege verboten wird, war damit eines der ersten Naturschutzgebiete in Sachsen geboren. Nur sehr wenige sind älter – wie z.B. die Kuppe des Wachtelberges bei Wurzen mit ihrem Kuhschellenvorkommen .
Zur Festsetzung kam es, weil Amthauptmannschaft Löbau, Humboldtverein Löbau, Landesverein Sächsischer Heimatschutz und einige Waldbesitzer in gemeinsamer Absicht, die hervorragende Pflanzenwelt vor allzu eifrigen Kräutersammlern schützen wollten. Besonders die üppigen Leberblümchenteppiche und die seltenen Orchideen sind manchen Spaziergängern, „Kräuterweibchen“ und eifrigen botanisierenden Oberschülern zum Opfer gefallen. Damit nun im „Naturschutzbezirk“ des Rotsteins diese Verbote eingehalten werden, wurden „Rotsteinpfleger“ eingesetzt. In regelmäßigen Sitzungen der Rotsteinpfleger mit der Amtshauptmannschaft Löbau, des Landesvereins SH und einiger Waldbesitzer wurde stetig am wirksamen Schutz des Rotsteins gearbeitet.
Überhaupt ist es dem Landesverein Sächsischer Heimatschutz erst 1910 übertragen worden, eine eigene Abteilung für Naturschutz zu bilden und den sächsischen Stadträten und Amtshauptmannschaften als Fachberatung zur Seite zu stehen. Schon am 13. Februar 1911 legte der Landesverein dem Innenministerium eine Vorschlagsliste von Gebieten vor, die der Unterschutzstellung bedürfen. Diese Liste enthielt auch den Rotstein.
Damals – wie heute – war es wichtig die Waldbesitzer für die Naturschutzgedanken zu begeistern. Besonders die Stadt Löbau hat als Waldbesitzer vorbildliches geleistet. Als Selbstbeschränkung und ohne verordnete Verpflichtung kam man überein, die Bestockung auf dem Gipfel und den Trümmerhalden – wenn überhaupt – nur im Plenterbetrieb (also der Entnahme nur einzelner Bäume) zu nutzen. Auch sollten entlang der Kammlinie mehrere Reihen Laubbäume bei Neupflanzungen in Nadelbaumflächen gepflanzt werden. Das ist insofern bemerkenswert, da zu dieser Zeit die Nadelholzorientierung noch nahezu unanfechtbares wirtschaftliches Ziel der sächsischen Kahlschlagswirtschaft war. Die erste umfangreichere Nonnenkalamität schickte in dieser Zeit ihre Vorboten in Klosterwald Marienthal und im Zittauer Gebirge voraus. Ideen zur Abänderung der Waldbaustrategien folgten jedoch erst später als auch in Folge der großen Nonnenkalamitäten der 1920er Jahre der Forstmann Alfred Möller den Dauerwaldgedanken publik machte.
Neben der Stadt Löbau haben sich auch die privaten Waldbesitzer dazu verpflichtet, bei ihrer Bewirtschaftung auf die wertvollsten Teile der Flora, nämlich die Eiben und den Wachholder, Rücksicht zu nehmen.
Auf dieses Fundament gegründet, konnte sich das Naturschutzgebiet langfristig entwickeln.
Welche Entwicklung nahm der Naturschutz seit Unterschutzstellung des Rotsteins?
1919 nahm die Weimarer Verfassung erstmals Naturschutz als gesamtstaatliche Aufgabe auf. Dort hieß es in Artikel 150 „Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des Staates.“
Obwohl Sachsen kein eigenes Naturschutzgesetz zu Wege brachte, wurden analog der Verfahrensweise des Rotsteins weitere Gebiete unter Schutz gestellt.
Erst mit Einführung des Reichsnaturschutzgesetzes 1935 wurden Naturschutzgebiete als eigene Rechtskategorie festgelegt. Die Natur in ihrer Ganzheit oder einzelne Teile davon sollten aus wissenschaftlichen, geschichtlichen, heimat- und volkskundlichen Gründen oder ihrer landschaftlichen Schönheit und Eigenart geschützt werden.
Gleichzeitig wurde eine Naturschutzverwaltung aus Kreis-, Bezirks- und Reichsnaturschutzbehörde etabliert.
Nach Kriegsende galten vorerst wesentliche Teile des Reichsnaturschutzgesetzes fort. 1954 wurde es in der DDR das „Gesetz zur Pflege und Erhaltung der heimatlichen Natur“ abgelöst.
Die Forstwirtschaft in der DDR hatte nach dem Krieg erheblich unter den Folgen des massenhaften Holzeinschlags zu Kriegszeiten und Reparationsleistungen zu leiden. Deshalb besann man sich zunächst auf eher naturnahe Waldbewirtschaftung. Nicht der Kahlschlag stand im Vordergrund sondern die Vorratspflege und die Begründung von gemischten Beständen mit den standortsgerechten Baumarten. Das ändere sich mit der Einführung der „industriemäßigen Produktionsmethoden“ zu Ende der 1960er Jahre.
In diesem Licht sind auch die Bemühungen zu des Institutes für Landesforschung und Naturschutz Halle zu sehen. Das 1953 gegründete Institut leistete einen bedeutenden Betrag zur Schaffung eines Systems von Naturschutzgebieten, die die repräsentativen Waldgesellschaften Sachsens ebenso umfassen, wie bedeutende Moore und Teichgebiete. Mit der Unterschutzstellung von 108 Naturschutzgebieten auf dem Gebiet des heutigen Sachsen durch eine Sammelverordnung des Ministers für Landwirtschaft, Ernährung und Forstwirtschaft erfolgte am 30. März 1961 auch eine erneute Unterschutzstellung des Rotsteins. Die Fläche wurde dabei erheblich verkleinert. Nicht mehr der gesamte Waldbestand war nun Gegenstand des Schutzgebietes, sondern nur noch ein Drittel davon (ca. 95 Hektar). Jedoch wurden auch die wertvollen Wiesen im Randbereich einbezogen.
Die vom Institut für Landesforschung und Naturschutz gemeinsam mit dem VEB Forstprojektierung Anfang der 1970er ausgearbeiteten Behandlungsrichtlinien für das Naturschutzgebiet Rotstein schrieben die Zweck, Aufgaben und Bewirtschaftungsvorgaben fest. Insbesondere wirkte sich die Festsetzung von Bewirtschaftungsgruppen auf die Entwicklung des Waldes aus. Die Waldflächen wurden bereits in Folge einer Dienstanweisung des Staatlichen Komitees für Forstwirtschaft vom 8. Juli 1966 in zwei Bewirtschaftungsgruppen eingeteilt. Die Kuppe sollte als Schutzwald der Kategorie I ohne Bewirtschaftung bleiben, hingegen die übrigen Gebiete um den Hengstberg als Schonforsten mit Zweckbestimmung Naturschutz in der Kategorie II. Zwischen dem Staatlichen Forstwirtschaftsbetrieb Löbau, dem Institut für Landesforschung und Naturschutz, den Kreisnaturschutzverwaltungen Löbau und Görlitz-Land, den Naturschutzbeauftragten und Vertretungen der Kirchen als Waldbesitzer wurde jedoch in der Abstimmung Behandlungsrichtlinie darauf gedrungen, das gesamte Naturschutzgebiet ohne Bewirtschaftung zu belassen. Vor dem Hintergrund der industriemäßigen Produktionsmethoden und der drohenden Umwandlung von „Scheinbestockungen“ - so bezeichnete man die Überreste der bäuerlichen Nieder- und Mittelwälder – in produktive Bestände ist diese Entscheidung nachvollziehbar. Das gesamte Naturschutzgebiet auf dem Rotstein wurde damit zur Naturwaldzelle. Daneben sollte das Naturschutzgebiet vor allem auch ein wichtiges Gebiet für Lehr- und Forschungszwecke sein, z.B. auf den Gebieten der Vegetationskunde und der Standortskunde. 1983 wurde die Zuordnung der Bewirtschaftungsgruppe wiederum geändert, die die naturschutzkonforme Bewirtschaftung vorsah.
Durch die „Naturschutzverordnung“ genannte Durchführungsverordnung des 1970 in Kraft getretenen Landeskulturgesetzes der DDR wurden für alle Naturschutzgebiete verbindliche Verbote festgelegt. So gelten auch im NSG Rotstein neben dem schon 1912 festgelegten Verbot des Abpflückens und Ausgrabens von Pflanzen und dem Wegegebot auch Verbot Tiere zu beunruhigen, den Zustand des Gebietes zu verändern, Baumaßnahmen durchzuführen und Biozide anzuwenden.
Mit der politischen Wende 1989 änderten sich auch die Rahmenbedingungen für Naturschutz und Forstwirtschaft stark. Umweltschutz wurde mehr Raum gegeben. Nach der Wiedergründung des Freistaates Sachsen und der Einrichtung der üblichen dreigliedrigen bundesdeutschen Verwaltung wurden auch zwei Fachbehörden des Naturschutzes eingerichtet: auf Landesebene wurde das Landesamt für Umwelt und Geologie aufgebaut, das eine Naturschutzabteilung erhielt. Als Fachbehörde zur Beratung der unteren Naturschutzbehörden der Landkreise und der Regierungspräsidien wurden 5 Staatliche Umweltfachämter gegründet. Das System der ehrenamtlichen Naturschutzhelfer wird fortgeführt.
Während die Regierungspräsidien für die Verwaltung der Naturschutzgebiete zuständig waren, erarbeiteten die Staatlichen Umweltfachämter fachliche Grundlagen, unter anderem auch Schutzwürdigkeitsguten. Seit 2008 liegt die Verwaltung der Naturschutzgebiete voll und in den Händen der unteren Naturschutzbehörde des Landkreises.
In der Forstwirtschaft vollzog sich nach der Wende eine Neuausrichtung hin zu einem multifunktionalen Ansatz. Insbesondere im Landes- und Körperschaftswald orientierte man sich stärker an naturgemäßer Forstwirtschaft unter Berücksichtigung der standörtlichen Bedingungen. Der ehemals einheitlich, durch die Staatlichen Forstwirtschaftsbetriebe bewirtschafteten Wälder wurden wieder an die Besitzer zurückgegeben.
Umwelt- und Forstverwaltung haben jedoch in den vergangenen 20 Jahren erhebliche Strukturwandel vollziehen müssen. Als einzige Naturschutzfachbehörde fungiert aktuell nun das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie. Die Umweltfachämter wurden 2008 aufgelöst und an des LfULG und die Landkreise angegliedert. Die seit der Wende bestehende Einheitsforstverwaltung wurde 2008 ebenfalls aufgeteilt. Hoheitliche Aufgaben wurden aus dem Staatsbetrieb Sachsenforst herausgelöst und den Landkreisen übergeben.
Auch der Stellenwert des Naturschutzes hat sich in den letzten 20 Jahren erheblich verändert. Aufgrund von europäischen Richtlinien – insbesondere der Vogelschutzrichtlinie von 1979 und der FFH-Richtlinie von 1992 haben sich die Mitgliedsstaaten der EU verpflichtet für bestimmte bedrohte Arten und Lebensräume strenge Schutzvorschriften zu erlassen und ein europäisches Schutzgebietessystem, genannt „Natura 2000“ aufzubauen. Nach zögerlichem Beginn der Umsetzung ist in Sachsen seit 2003 ein Netz von 270 FFH-Gebieten und 77 Vogelschutzgebieten etabliert. Zusammen nehmen sie eine Fläche 292 777 Hektar ein, was einem Anteil von 15,9% der Fläche des Freistaates entspricht. In dieses System wurden auch die schon bestehenden Naturschutzgebiete integriert. Häufig wurden angrenzende Flächen einbezogen und verbindende Elemente, wie die Flusstäler hinzugefügt.
FFH-Gebiete dienen speziell dem Schutz von einer Reihe europaweit bedeutsamer Tier- und Pflanzenarten wie der auf dem Rotstein heimischen Haselmaus und bestimmter Lebensräume wie mageren Mähwiesen oder Waldmeister-Buchenwäldern. Damit unterliegt aber nicht das ganze Gebiet einem strikten Schutz, sondern nur die Lebensräume und Arten. Maßnahmen, egal ob Schutzmaßnahmen oder Bewirtschaftungsmaßnahmen, müssen sich danach ausrichten den Zustand der Lebensräume und der Arten nicht zu verschlechtern. Damit ist ein recht moderner, aber mit unter schwer vollziehbarer Modus für den weitreichenden Schutz von größeren Landschaftsbestandteilen gefunden worden.
Der Rotstein ist seiner gesamten Waldfläche Teil des FFH-Gebietes „Basalt- und Phonolithkuppen der östlichen Oberlausitz“ geworden. Die geschützten Lebensräume und Arten sind in einem Managementplan erfasst und bewertet worden. Auch Maßnahmen zum Erhalt wurden festgelegt und soweit möglich auch mit Eigentümern und Nutzern abgesprochen. In der Forsteinrichtung des Stadt- und Kirchenwaldes muss diese Planung ebenso berücksichtigt werden, wie bei Bauprojekten im FFH-Gebiet. Private Waldbesitzer können von erhöhten Fördersätzen bei naturschutzgerechten Maßnahmen profitieren und größere Bauprojekte müssen auf ihre Verträglichkeit mit den FFH-Schutzzielen untersucht werden.
Wie wird es nun mit dem Naturschutzgebiet Rotstein weiter gehen?
Derzeit ist die Situation unbefriedigend, weil es für das Naturschutzgebiet Rotstein keine neue Rechtsverordnung gibt. Warum ist sie notwendig? Das Naturschutzgebiet ist zwar im Bestand gesichert, weil es aber nur aus altem Recht übergeleitet ist, gelten nur die allgemeinen Schutzbestimmungen des Bundes- und Sächsischen Naturschutzgesetzes. Genau genommen, gelten sogar die Pflegerichtlinien fort. All das passt an vielen nicht mehr zum Rotstein. Vergleicht man die heute noch vorkommenden Pflanzenarten mit einer Liste von vor 100 Jahren, wird man vielleicht enttäuscht sein. Was ist von den ehemals 800 Wacholdern übrig geblieben? Wo wächst noch die Zwergmispel? Beide suchen wir heute vergebens. Diese Arten haben die Aufgabe der bäuerlichen Nutzung und die allgemein zunehmende Eutrophierung nicht überstanden. Immer dichter schließt sich an vielen Stellen, das einst lückige Kronendach der Bäume und Sträucher dringen selbst in Klunsen vor. Wenn wir das historische Erbe und die damit einhergehende Vielfalt der Fauna und Flora erhalten wollten, müssen wir uns Gedanken um eine dem Naturschutz verpflichteten Pflege des Naturschutzgebietes machen. Ein gutes Beispiel ist die probeweise Wiederbelebung kleinflächiger nieder- und mittelwaldartiger Nutzung in den Haselbeständen am Hengstberg durch ein Projekt in Obhut von Sven Büchner und Dr. Andreas Scholz.
Auch ohne das Engagement der Mitglieder des Rotsteinvereins wäre eine andere Besonderheit des Rotsteins verloren gegangen – die Wiesengladiole. Nur durch die jährlich späte Mahd konnte an dieser Stelle ein kleines Relikt der einstmals weiter verbreiteten artenreichen Pfeifengraswiesen erhalten werden. Doch auch hier gibt es Probleme: der Schilfbestand dehnt sich langsam aus.
Diese Aspekte der Pflege muss eine Neuverordnung des Naturschutzgebietes Rotstein berücksichtigen, damit die Vielfalt des Rotsteins erhalten bleibt. Andererseits wird aber auch ein Teil des NSG weiterhin nur sich selbst überlassen bleiben, um dort die natürlichen Abläufe verfolgen zu können. Die Grundlagen sind vorhanden und werden in den nächsten Jahren weiter bearbeitet. Wir wollen mit den Waldbesitzern und den Nutzern die Entwürfe abstimmen, bevor das reguläre Verfahren für eine Verordnung eingeleitet wird.
Lassen sie mich zum Ende die Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass die gute Tradition des Naturschutzgebietes Rotstein weiter bestehen wird, indem Naturschutzbehörde, Landbesitzer, Rotsteinverein, Förster und Landwirte und natürlich alle anderen Freunde des Rotsteins zu einer guten neuen Grundlage für den Schutz des Gebietes zusammenfinden. Dann kann das NSG als ganz besondere Perle in der Kette der sächsischen NSG strahlen und seine Anziehungskraft erhalten.
© Alexander Wünsche, 2012